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Der Jangtze-Staudamm

 

Die Stadt Chongqing liegt an der Einmündung des Jialing in den großen Strom Jangtze in bergiger Landschaft. Die ganze Stadt mit mehr als 3000 Jahren alter Geschichte wurde bergauf gebaut und nennt sich deshalb auch Bergstadt.

 

 

Am Beginn der Monsunzeit liegt über Chongqing den ganzen Tag ein dichter Dunstschleier, hervorgerufen vom feuchtheißen Klima und der Luftverschmutzung durch Industrieabgase. Bekannt ist die Stadt als Ausgangspunkt für die Schiffe, die den Jangtze hinunter fahren zu den drei Schluchten und bis nach Shanghai. Über der Stadt thront auf der Spitze des Eling-Berges der Eling-Park. „Eling“ in chinesischen Schriftzeichen heißt „Schwanenhals“ und wurde so benannt nach der Form der Bergspitze.

 

Das 100 Meter lange Gemälde vom Jangtze

Hier oben sind zwei kleine Museen untergebracht, die etwas gemeinsam haben. Das eine kleine Museum erinnert an den Aufenthalt von Chiang Kai-shek, der Chongqing von 1937 bis 1945 zur Hauptstadt kürte. Er kämpfte gemeinsam mit der CIA gegen die Kommunisten, musste sich dann aus dem Staub machen und rettete sich mit dem chinesischen Staatsschatz nach Taiwan. Damals beauftragte Chiang Kai-shek den US-Amerikaner John Lucian Savage, Chef-Konstrukteur des Hoover-Dammes auf der Grenze der Bundesstaaten Nevada und Arizona, eine Machbarkeitsstudie für einen Jangtze-Staudamm auszuarbeiten.

In dem zweiten Museum hat der chinesische Maler Liu Zuozhong, der seit mehr als 30 Jahren Bilder über die berühmten "Drei Schluchten des Jangtze" fertigt, ein besonderes Werk ausgestellt. Er schuf seit Mitte der 90er Jahre in mehreren Etappen ein hundert Meter langes und zwei Meter hohes Wandbild, das alle Sehenswürdigkeiten und die elf Städte am Jangtze künstlerisch wie detailliert festhält.

Der Künstler ist damit einer der bedeutenden Chronisten des Jangtze: Er zeigt sowohl die herrliche Landschaft des Jangtze, aber zugleich auch all das, was zu beträchtlichen Teilen für den Staudamm geopfert und für immer im Stausee versunken ist.

 

 

In seinem überdimensionalen Wandgemälde mit dem Titel “Tausend Meilen Drei Schluchten Bild“ zeigt eine gestrichelte Line, wie hoch das Wasser des entstandenen Stausees gestiegen ist. Außerdem führt er auf den Bildern darüber Buch, wie viele Bewohner der Städte am Ufer des Jangtze nach statistischen Angaben des Jahres 1992 umsiedeln mussten, aus Fengdu 54.582, aus Zhongxian 55.452, aus Wanschuan 159.333 …

In den meisten Städten wie in Wushan wurde oberhalb der versunkenen Häuserzeilen eine neue Stadt gebaut. Den Vergleich zwischen dem bisherigen und dem neuen Zustand des Jangtze-Ufers kann der Besucher vielfach ziehen. Das „damals und heute“ der Ufer des Jangtze ist in Broschüren, Büchern und DVDs dokumentiert.

 

 

Tor zur Geisterstadt Fengdu

 

Die Vision von Mao in einem Gedicht

Die im Jahr 1993 gegründete Schifffahrtsgesellschaft Victoria Cruises des chinesischen Eigners James Pi mit Hauptsitz in New York betreibt acht neue Schiffe auf dem Jangtze. Auf dem Programm stehen Fahrten durch die "Drei Schluchten" in drei Tagen, bis nach Shanghai in sieben Tagen und ein ausführlicher Vortrag für die meist US-amerikanischen Touristen über den "Drei-Schluchten-Staudamm". Die Information zum größten Wasserprojekt, das je auf der Welt gebaut wurde, übernimmt der chinesische Tourismus-Manager an Bord Aaron Jiang.

Schon im Jahr 1953 machte sich das junge kommunistische China ebenfalls Gedanken über den Bau eines Staudamms. Drei Jahre später durchschwimmt Mao bei Wushan den Jangtze, um den Startschuss für das Projekt zu geben. In einem Gedicht von Mao unter dem Titel „Schwimmen“ beschreibt er seine Vision des Staudamms:

 

Steinmauern werden im Westen stromaufwärts stehen
Um Wushan's Wolken und Regen zurückzuhalten
Bis in den engen Schluchten ein stiller See entsteht.

 

Aufgrund des misslungenen „großen Sprunges“ der Mao-Politik und gewaltiger Hungerjahre mit Millionen von Toten musste das Projekt verschoben werden. Die Kulturrevolution von 1966 bis 1976 sorgte wiederum für einen Aufschub.

 

Nur Zweidrittel Mehrheit für den Damm

Erst unter Zhou Enlei gab es schließlich das come back des Projekts. In den 80er Jahren wurde zunächst stromabwärts ein viel kleinerer Experimental-Staudamm, der Gezhouba Damm errichtet. Doch auch dieser kleinere Damm konnte eine erneute Hochwasser-Katastrophe nicht verhindern, die wieder tausende Todesopfer forderte.

Damit war die Entscheidung durch die chinesische Führung gefallen. Das "Drei Schluchten Projekt" wurde gestartet. Allerdings erhielt das Projekt bei einer Abstimmung im chinesischen Volkskongress, die veröffentlicht wurde, nur eine Zweidrittel Mehrheit der Stimmen der Abgeordneten. Denn der Bau des Staudamms hatte ganz ernsthafte unerwünschte Auswirkungen. Viele glaubten auch, dass dieses Bauwerk für China undurchführbar sei. Obwohl dann auch große westliche Konzerne wie General Electric Canada, ABB Schweiz, Alstom aus Frankreich und Siemens aus Deutschland später mitwirkten.

 

Zurueck

Jangtze, i.d. "Drei Schluchten", Fischer am Fluss, Fluthoehe d. Stausees

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Schutz der Menschen am Fluss

Im Jahr 2003 wurde der Damm fertig gestellt und gefüllt und im Jahr 2009 komplett in Betrieb genommen. Der "Drei-Schluchten-Staudamm" ist der größte Staudamm der Welt, auch wenn es anderswo höhere Staumauern, längere Talsperren und darin größere Stauseen gibt.

Das Resümee fällt für die übergroße Mehrheit der Chinesen äußerst positiv aus, wie mir Gespräche mit chinesischen Reiseführern und auch mit der Managerin des Schiffes von Victoria Cruises Monika Pichler bestätigten. Auf der Plusseite steht an erster Stelle die Kontrolle des Hochwassers und Sicherung von Menschenleben. Zweitens die gewaltige Erzeugung von sauberer Energie. Der "Drei-Schluchten-Damm" ist der leistungsfähigste Staudamm der Welt. Seine Turbinen produzieren eine Generatorleistung von 18,2 Gigawatt. Das entspricht der Leistung von 12 Atomkraftwerken. Drittens treten durch den 600 Kilometer langen Stausee viel geringere Strömungen auf, die Flussbreite ist erweitert und die Navigation für die Schiffe erleichtert. Früher gab es sehr viele Unfälle. Viertens kann damit der Transportweg per Schiff ganz wesentlich von bisher 2.000 auf 5.000 Kilometer Schiffsweg erhöht werden.

 

Staudamm provoziert Meinungsstreit

Das größte Wasserkraftwerk der Welt hat auch weltweit vor der Fertigstellung jahrelang den größten Meinungsstreit hervorgerufen. Mit Schlagzeilen wie “Chinas Größenwahn am Jangtze“, „Ein Symbol der Macht“, „Etwa sechs Millionen Menschen müssen ihre Heimat verlassen“, „Aus dem Fluss wird eine stinkende Kloake“, „Erdrutsche an den Hängen nehmen bedrohlich zu“ wurde in ausländischen Medien während des Baus eine verbissene Debatte geführt. Scheinbar saßen die weltbesten Experten in Redaktionen und Verlagen, während chinesische Fachleute auf diesem Gebiet in den Jahren 1949 bis 1980 etwa 80.000 Staudämme und Stromkraftwerke errichteten und im nächsten Jahr das drittgrößte Wasserkraftwerk in Xiloudu an den Flüssen Jinsha und Jiang eröffnen.

 

Schwere negative Auswirkungen

Der "Drei-Schluchten-Damm" hat wie die allermeisten Großprojekte auch eine Reihe wesentlicher negativer Auswirkungen. Manager Aaron Jiang ging in erstaunlicher Offenheit sehr ausführlich darauf ein, Ausdruck von gewachsenem Selbstbewusstsein und Souveränität.

Problematisch ist die Versandung der Flussabschnitte durch den Damm. Dementsprechend muss ein recht hoher Aufwand mit dem Ausbaggern des Flussuntergrunds betrieben werden. Bis 2015 soll deshalb ein weiterer Staudamm weiter oberhalb des 6380 Kilometer langen Jangtze die Versandung eindämmen und verlagern.

Um einen Staudamm mit einem Reservoir von 600 Kilometer Länge anzulegen, mussten insgesamt nach offiziellen Angaben 1,13 Millionen Menschen, die unter anderem in 13 größeren Städten lebten, in neue Häuser und Städte umgesiedelt werden. Besonders problematisch war das für über 400.000 Bauern, von denen knapp die Hälfte in andere Regionen Chinas zogen. Mehr als die Hälfte aller Kosten, die der Staudamm verschlang, entfielen auf Folgen der Aussiedelung, vor allem auf Neubauten. Doch die Mehrheit der Umgesiedelten darunter vor allem die jungen Leute, sollen das Projekt durchweg positiv bewertet haben.

Verluste sind ebenfalls im Kulturerbe der abgetragenen und zerstörten Städte und Häuser zu beklagen. Es konnten nicht alle Kulturgüter gerettet und umgezogen werden, wie z.B. auch einige der so genannten „Hängenden Särge“ in einigen Flussabschnitten.

 

Damm bestand Bewährungsprobe

Vor 15 Jahren erreichte die Flut am Jangtse 50.000 Kubikmeter pro Sekunde. Damals riss das Hochwasser 4150 Menschen in den Tod, 18 Millionen Chinesen mussten in Sicherheit gebracht werden. Im Jahr 2010 hat der "Drei-Schluchten-Damm" den größten Belastungstest seit seiner Fertigstellung im Jahr 2009 gemeistert. Nach schweren Unwettern habe die Flut 70.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde oberhalb des Dammes am Jangtse erreicht, wie chinesische Medien berichteten. Der Scheitelpunkt der Hochwasserwelle auf dem Fluss habe das Bauwerk passiert. Damit habe es dem höchsten bisher dort gemessenen Wasserstand standgehalten. (1)

Das Bauen am "Drei-Schluchten-Staudamm" hat noch kein Ende gefunden. Bis zum Jahr 2015 soll ein neues Schiffshebewerk, sozusagen ein „Lift für Schiffe“ eröffnet werden, der für kleinere Schiffe eingerichtet ist und die bisherige Schleusung entlastet. Außerdem werden noch leistungsfähigere Turbinen eingesetzt. Dieser Staudamm, so mein Eindruck, steht symbolhaft für den Aufstieg von China zu einem Wirtschaftsriesen und zu einer Weltmacht. In nur 20 Jahren einer kapitalistischen Marktwirtschaft à la China wurden für die Gesellschaft und für die Menschen unglaubliche Fortschritte erreicht.

 

Staudamm als Ausflugsziel

Am Abend erreicht das Schiff der Victoria Cruises nach dreitägiger Fahrt von Chongqing den Staudamm. Die riesigen Schleusenkammern, in denen sogar Kreuzfahrtschiffe Platz finden, öffnen sich und das Flussschiff fährt hinein. Schließlich ist direkt hier vor Ort ein weiterer Vorteil des Staudamms zu besichtigen. Aberhunderte von Touristen aus China und aller Welt, die Tag für Tag den Jangtze befahren, bestaunen das Bauwerk. Für sie wurden sogar lange Rolltreppen auf die Ebene des 180 Meter hohen Dammes eingerichtet. Das Projekt gibt auch dem Tourismus einen gewaltigen Schub.

 

 

In Landesteilen mit wenig Touristen unterwegs

Während für die allermeisten Touristen hier die Schifffahrt auf dem Jangtze nach drei Tagen endet, geht für mich die Reise auf dem Fluss bis nach Shanghai zur Einmündung ins gelbe Meer weiter. Das chinesisch-US-amerikanische Unternehmen Victoria Cruises ist eine der ganz wenigen Gesellschaften, die in sieben Tagen von Chongqing bis nach Shanghai fahren. Auch deutsche Reiseveranstalter haben diese längere Tour nicht im Programm. Doch gerade im zweiten Teil der Jangtze-Fahrt auf dem immer breiter werdenden Strom tauchen die Passagiere in typische Landesteile Chinas ein, die von ausländischen Touristen kaum besucht werden.

Eine Station ist Wuhan am Zusammenfluss vom Jangtze mit dem Han-Fluss, die Stadt der Brücken und Seen. Eine Überlandfahrt von 120 Kilometern zum berühmten Gelben Berg mit seinen bizarren Felsen und tiefen Schluchten führt durch fruchtbare Gebiete. Hier werden drei Mal im Jahr Reis- und Gemüse-Ernten eingebracht, Garnelen gezüchtet und Lotosblumen angebaut.

 

 

Der gelbe Berg

 

In der Stadt Nanjing besuche ich das in einem riesigen Park angelegte auf einer Anhöhe gebaute Denkmal für Dr. Sun Yat Sen, dem ersten nur kurzzeitigen Präsidenten der Republik China vor 100 Jahren. Es ist ein Wallfahrtsort für zehntausende von Chinesen aus allen Landesteilen zu dem allseits beliebten Politiker.

 

 

Memorial von Dr. Sun Yat Sen in Nanjing

 

Plötzlich stupst mich ein breit lächelnder junger Chinese an, lächelt gewinnend und zeigt auf einen Fotoapparat. Aber nicht ich soll ihn mit seiner Freundin fotografieren, sondern ich soll mit ihm zusammen selbst das Fotomotiv sein. Er umfasst meine Schulter und eine junge Chinesin macht mehrere Fotos. Nun kann er zu Hause per Bild beweisen, dass er eine „Langnase“, wie im Norden Chinas die Ausländer genannt werden, getroffen hat.

 

(1) www.stern.de 20. Juli 2010

 

Autor und Fotos: Ronald Keusch, Juli 2012

 

 

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