Ich warte auf Dich in Louroudjina
Autorin: Heidi Trautmann
“Du must im Frühjahr kommen, wenn wilde Blumen die weiten Ebenen um mein Dorf herum bedecken, gelb und violett gefleckte Teppiche eingebettet in frischem Grün. Du musst im Sommer kommen, wenn Wind und Sonne die Wogen von Gras und die abgeernteten Felder zu einem bleichen Gold getrocknet haben.
Auch musst Du im Herbst kommen, wenn Ebene und Hügel die Farbe von Honig angenommen haben, und vergiss nur nicht im Winter zu kommen, wenn nach schweren Regenfällen die Ebene sich im zarten Grün zögerlich zeigt; wenn der Himmel zur Bühne wird für schwere Donnerwolken, für ein Spiel mit Licht und Schatten, blitzende Sonnenstrahlen, die sich durch dunkelviolette Wolken Bahn brechen.
Wann immer Du auch kommen magst, werde ich Dir das Land um mein Dorf herum zeigen, das Land der weißen Erde mit seinem besonderen Licht und dann zeige ich Dir mein Dorf, in dem mein Herz zuhause ist.“
Louroudjina - Impressionen |
Fotos: Heidi Trautmann
Endlich, an einem Tag im Mai, haben wir uns aufgemacht, Günay Güzelgün zu treffen, mein Mann und ich. Günay, Malerin und Fotografin, habe ich vor einiger Zeit in Iskele interviewt. Dabei spielte Louroudjina – heute Akıncılar – eine zentrale Rolle während unseres Gesprächs.
Louroudjina, wo sie eine höchst bemerkenswerte Kindheit verbracht hat; Louroudjina, das ihr die Inspiration für ihre berühmten Bilder gegeben hat: Geschichten über ihr Dorf und das Leben darin; über die Landschaft mit dem besonderen weissen Licht.
Louroudjina, wo ihre Eltern und andere geliebte Menschen begraben liegen und wo die meisten ihrer Schwestern heute noch leben. Louroudjina, ein Gedanke, der sie schmerzt, doch gleichzeitig der einzige Ort, an dem sie glücklich ist. So oft sie kann, besucht sie ihre Verwandten dort, in dem Ort der weissen Erde zwischen Hügeln, die einst mitWeinbergen bedeckt waren.
Louroudjina – wenn laut ausgesprochen, klingt es wie ein magisches Zauberwort – liegt an der Spitze einer militärischen Zone an der Grenzlinie zum südlichen Teil von Zypern.
Wir trafen uns in der Nähe des Ercan Flughafen und liessen unseren Wagen zurück. Am Eingang zur Militärzone gab Günay ihre ID-Karte ab und erhielt einen Tagespass. Einen Pass zum Ende der Welt, zu einem Ort in einem Kokon, isoliert und nur durch die Strasse, auf der wir fuhren, verbunden mit der Aussenwelt.
Alle anderen früheren Straßen waren geschlossen …hier war unsere Strasse nach Lefkosa … Louroudjina ist nur 20 Minuten von Larnaka entfernt, man könnte die Hauptstrasse in Richtung Larnaka in 10 bis 15 Minuten zufuss über die Felder erreichen. Die Zeit steht still hier. Die Landschaft hat sich seit dem “day of no return” nicht verändert, seit 1974.
Wir fahren durch ein helles Land, helles Ocker. Ab und an der Schatten eines Traktors am Horizont, durch Felder, auf denen der Weizen reif zum baldigen Schnitt steht. Die Erde hat die Farbe von weissem Kalk, es ist Kalk, gute Erde für den Weinanbau. Wie grün die Weinblätter leuchten gegen das strahlende Weiss der Erde, nicht Sand, krümelige Erde.
Wir kommen durch Pyroi, heute Gaziler, einst ein glückliches und fruchtbares Dorf, auf beiden Seiten der Strasse nun Ruinen, in die Schafe und Ziegen Einzug gehalten haben. Sogar die Bäume im Ruinendorf tragen den Schatten des Schreckes in sich, als wären sie erstarrt.
Ein kaltes Gefühl in unserem Nacken. Militärposten überall. Wir fotogafieren trotzdem.
Günay hält an und deutet auf einen angeschobenen Erdhaufen. Da ist unsere Vergangenheit, mehrere Millionen Jahre zurück, heute aufgedeckt durch Strassenarbeiten. Wir steigen aus und besehen uns die Vergangenheit.
Blöcke mit eingeschlossenen versteinerten Seemuscheln. Wir stehen hier gemeinsam auf dem Seeboden, die Mesaoria einst ein Meereskanal zwischen zwei getrennten Inseln. Hat sich irgendetwas geändert inzwischen?
Zwei immer noch getrennte Teile, nicht durch Seewasser, sondern durch den grausamen Trennugsstrich verursacht durch Krieg und Politik.
Wir nähern uns dem Dorfrand von Louroudjina und halten am Dorffriedhof an, wo Günay ihren üblichen Gruß entrichten will. Am Grab der Mutter verweilt sie, ein Moment des Schweigens, eine Blume bleibt zurück.
Einst war Louroudjina ein geschäftiges und glückliches Dorf mit etwa 2000-3000 Einwohnern, in erster Linie türkische Zyprioten, nur eine Handvoll griechischer Abstammung, „Wir waren ein reiches Dorf, die grösste türkische Ansiedlung auf Zypern.
In den Nachbardörfern, nur zwei Kilometer entfernt, wohnten die Griechen und unser Zusammenleben war problemlos.
Kaum einer der Einwohner sprach Türkisch, jedermann sprach Griechisch, soweit ich mich erinnere,“ sagte Günay. Heute leben nur noch etwa 500 Menschen hier, meistens ältere Leute, die sich geweigert haben, verpflanzt zu werden, ihre Wurzeln sind in dieser seltsamen weissen Erde gebleiben. Seit 1974 sind nur wenige neue Häuser entstanden, teilweise gebaut von Menschen, die sonst im Ausland leben; aus Nostalgie.”
Kalkweisse Strassen führen durch das Dorf, in dem kaum ein Haus in gutem Zustand ist. Nur die Hauptstrasse ist geteert. Um die Moschee im Zentrum herum gibt es immerhin drei Minimarkets und drei Cafés, wo die alten Männer des Dorfes sitzen. Ein Dorfbrunnen, erbaut 1950, wo sich früher die Frauen mit ihren Wassergefässen trafen und Dorfklatsch entstand. Ich habe nicht gefragt, ob der Brunnen noch funktionsfähig ist.
In dieser Talsenke zwischen den Hügeln sind die Häuser alle einstöckig und bedeckt mit alten Dachziegen, Mönch und Nonne. Erbaut sind sie aus dem örtlichen unbehauenen Stein, die Zwischenräume und Ritzen sind gefüllt mit Kiesel, was zauberhafte Muster ergibt. Trotz des herunter gekommenen Zustands der Bauten kann ich noch die ursprüngliche Schönheit in den Fesnter- und Türstöcken entdecken, sowie an den schönen Türen selbst, die alle noch existieren.
Auf unserem Gang durch das Dorf, treffen wir auf Mitglieder von Günay’s Familie, Kusinen, Schwestern, Nichten, alleine vier Schwestern leben noch hier. Auf einem weiten Feld steht das Elternhaus, eine Ruine, doch mächtig und unschwer lässt sich die Vergangenheit heraufbeschwören. Günay führt uns zu einer Hauswand näher heran: „Sieh, diese Gravuren habe ich einst gemacht”, und sie berührt die Linien mit ihren Fingerspitzen.
Auf dem Feld alte Gerätschaft, ein Pflug mit Rechen, ein Stück aus der alten Ölmühle, Zeugen des regen Dorflebens. “Wir bauten Weizen an, Hafer, Gemüse; wir produzierten Öl, Zivanija (hiesiger Schnaps) und Wein; wir hatten alles, was wir zum Leben brauchten.“
Weiter den Hügel hinan kommen wir am Haus der ältesten Schwester von Günay vorbei und gehen näher, um sie und ihren Mann zu begrüssen. Sie wäscht ihre Wäsche auf einem Stein unter einem grossen Feigenbaum, umgeben von einem Rosenbusch; die fertige Wäsche flattert daneben im Wind.
Dahinter entdecke ich einen alten Küb Kebab Ofen. Eine Nachbarin kommt über die Strasse und begrüsst uns und man tauscht Neuigkeiten aus. Hier Neuigkeiten? Woher, wozu?
Wir leben hier zeitlos, nichts ändert sich und niemand schert sich.
Von hier oben überblicken wir das Tal und können, nicht weit entfernt, doch unerreichber von hier, das griechische Nachbardorf sehen, fast auf Steinwurfweite. Günay insistiert, dass es nie Probleme mit den Nachbarn gegeben hätte, als wenn sie es immer noch nicht fassen kann, dass ein direkter Austausch nicht mehr möglich ist.
Es ist Mittagszeit, und wir werden bei einer anderen Schwester von Günay zum Essen erwartet. Das kleine Haus liegt mitten im Dorfzentrum. Der Sohn ist mit seiner Familie übers Wochenende gekommen. Nebenan hat er einen Teil des Hauses für sich ausgebaut und er zeigt es uns.
“Wir kommen zu meinen Eltern so oft es nur geht. Es ist mein Heimatort und ich bin sehr am Schicksal des Dorfes interessiert.” Im Hinterhof hält sein Vater einige Hühner, auch hat er etwas Gemüse angepflanzt und ein kleines Kakteenparadies angelegt. Wie sieht das Schicksal von Louroudjina aus, Günay?
Ihre Schwester hat vor einem Jahr zu malen begonnen, ermutigt von Günay, der Künstlerin. Nun öffnet sie für uns ihr Portfolio. Ich bin zutiefst berührt. Da ist die reiche Fantasie eines Kindes im Körper einer 60-Jährigen. Bilder von friedlichem Leben, Menschen, Schafe und Ziegen, und besonders Vögel, die sie liebt. Ihre Umgebung, ihr Leben im Dorf, ihr aller Leben.
Ich habe einige Bilder fotografiert, da sie mir mehr über das Dorf berichten als alle Worte. Auch die Hauptschule, in die sie und ihre Geschwister gingen, ist vorhanden, auch die Kirche auf dem Kreuzhügel, die uns Günay gezeigt hat, hat sie nicht vergessen. Alles hat sie aufgezeichnet, nur den Zustand von heute nicht, nicht die Ruinen.
Die Familie hat inzwischen den Tisch in der Küche gedeckt – wir sind neun Personen – und wir bekommen ein köstliches Festtagsmahl vorgesetzt. Wir sprechen miteinander, überqueren mehrmals verschiedene kulturelle Gebiete, während wir hier in dem trostlos vergessenen Kokon eines Dorfes zusammen sitzen. Wirklich trostlos vergessen? Vielleicht gerettet von den Folgen einer verrückten Aussenwelt?
Wir müssen wiederkommen und die besondere Luft der anderen Jahreszeiten schmecken.
Die Website der Künstlerin und Autorin Heidi Trautmann: www.heiditrautmann.com